Missbrauch: Kirche braucht auch künftig Druck der Öffentlichkeit
Die christlichen Kirchen brauchen auch sieben Jahre nach der Aufdeckung der Missbrauchskrise weiterhin die mediale Öffentlichkeit als "kritisches Korrektiv": Das hat die Münsteraner Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins bei einem Vortrag im Rahmen der "Salzburger Hochschulwochen" unterstrichen. So wie die jahrzehntelange kirchliche Praxis der Vertuschung und des Herunterspielens der Missbrauchsfälle nur durch eine öffentliche Aufdeckung durchbrochen werden konnte, so brauche es weiterhin das wache Auge der Medien und einer kritischen Öffentlichkeit: "Kirche ist auf das kritische Potenzial der Öffentlichkeit angewiesen, um Strukturen der Sünde in ihr aufzudecken und zu überwinden", so die Theologin.
2010 war es zur Aufdeckung von Fällen sexuellen Missbrauchs und Gewalt u.a. im Bonner Aloisiuskolleg gekommen. Es folgte eine Welle von weiteren Aufdeckungen, Untersuchungen und teils gerichtlichen Verfolgungen. Diese Zeit wurde zu einer Art "Fegefeuer für die Kirche", so Heimbach-Steins. Es seien jedoch bis heute innerkirchlich "Abwehrreaktionen" feststellbar, die die tiefe dieser Krise leugnen oder herunterspielen.
Die Missbrauchskrise erreichte schließlich auch Österreich und führte u.a. zur Einrichtung der Unabhängigen Opferschutzkommission unter Waltraud Klasnic und zur Erarbeitung neuer Richtlinien zur Prävention und zum Umgang mit Fällen von Missbrauch und Gewalt im kirchlichen Kontext. Seit 2010 hat die Unabhängige Opferschutzkommission laut eigenen Angaben 1.455 Fälle zugunsten der Opfer entschieden. Den Opfern wurden bisher in Summe 22 Millionen Euro in Form von Hilfszahlungen und Therapien zuerkannt.
Die heutige "Glaubwürdigkeitskrise" der christlichen Kirchen könne nur überwunden werden, wenn die Kirchen ihr Selbstverständnis nachjustieren bzw. sie die Öffentlichkeit offensiv suchen, so die Sozialethikerin weiter. "Kirchen dürfen sich den öffentlichen Anfragen nicht entziehen, sondern müssen sich ihnen stellen" - dies gelte gerade auch angesichts einer steigenden religiösen Sprachlosigkeit der Gesellschaft. Die Kirchen hätten angesichts einer weitgehend "religiös illiteralen Gesellschaft" geradezu die Pflicht, ihr Selbstverständnis immer wieder neu zu erklären.
Nur so lasse sich auch der kirchliche Anspruch auf Teilhabe am öffentlichen Diskurs und auf Einsprüche etwa bei ethischen oder gesellschaftspolitischen Fragen begründen und kirchlicherseits auf Respekt und Anerkennung seitens der säkularen Gesprächspartner hoffen: "Das scheint mir die Herausforderung für religiöse Akteure zu sein: dass sie sich und ihre Ansprüche in der Öffentlichkeit erklären. Das setzt ein gewaltiges Umdenken voraus, nämlich jenes, dass das Religiöse sich nicht mehr von selbst versteht."