
Prof. Dr. Tine Stein
Vorlesung
Zwischen Apokalypse und Zuversicht: Politik in der Polykrise und die Anforderungen an eine resiliente Demokratie
Abstract
Die Herausforderungen der Gegenwart lassen sich in der Diagnose der Polykrise bündeln: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Klima-Krise, die Pandemie – alle diese Krisen stellen nicht nur für sich genommen eine Gefahr dar, sondern haben sich aufgrund ihres nahezu zeitgleichen Auftretens auch wechselseitig verstärkt. Das setzt die konstitutionelle Demokratie unter enormen Druck. Der autoritäre Populismus in westlichen Demokratien verschärft die Situation erheblich, da von dieser Bewegung die Legitimitätsgrundlagen und Praktiken des demokratischen Verfassungsstaates in Frage gestellt werden. Seine Anhängerschaft ist von einer tiefen Zukunftsverunsicherung getragen, die die notwendigen Veränderungen, welche sich aus den gegenwärtigen Herausforderungen ergeben, boykottieren. Stellt die Qualität der Resilienz eine Antwort auf die Polykrise dar?
In der ersten Vorlesung wird eine Krisendiagnostik mit Blick auf das Konzept der Polykrise vorgenommen. Zu dieser Diagnostik gehört auch die Analyse der mentalen Verfasstheit der Bürgerschaft. Viele Bürger spüren eine existentielle Verunsicherung, Angst, Wut und Pessimismus – vergiftete Gefühle und Haltungen, die die Akteure des autoritären Populismus in ihren politischen Gewinn verwandeln, befördert durch den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit. In der zweiten Vorlesung wird als Antwort auf die Polykrise das Konzept der resilienten Demokratie entfaltet. Resilienz geht über Wehrhaftigkeit hinaus. Es geht um Anforderungen, die sich aus einer sachlich angemessenen Krisenbewältigungsstrategie ergeben, die sowohl politisch-institutioneller als auch ethischer Natur sind. Gefragt ist eine politische Aktivierung und Organisation jener stabilen Zwei-Drittel in der Gesellschaft, die die Ordnung des demokratischen Verfassungsstaates erhalten wollen und die es von den sachlichen Notwendigkeiten einer Politik der Krisenvorsorge zu überzeugen gilt. Darauf kann die Restitution einer Haltung politischer Zuversicht gründen.
Biografische Notizen
- Geb. 1965 in Lindlar (NRW).
- Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen und derzeit Forschungsdekanin der Sozialwissenschaftlichen Fakultät.
- Studium und Promotion (1996) an der Universität Köln, Habilitation an der Freien Universität Berlin (2005).
- Sie lehrte und forschte an vielen Universitäten im In- und Ausland. Ihr Forschungsgebiet ist der demokratische Verfassungsstaat und die normativen Grundlagen dieser Ordnung vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen.
- Neben diesen Grundlagenfragen arbeitet sie vor allem zum Verhältnis von Politik, Recht und Religion sowie zu Politik und Natur.